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Gesellschaft

01.05.2012 11:14:53

Ich behaupte nicht, zu wissen, wie die hiesige Gesellschaft funktioniert. Ich sehe und höre jedoch vieles  in der Familie und auch ausserhalb, wie die Menschen kommunizieren und interagieren. Daraus kann man Schlüsse ziehen, die jedoch nicht immer stimmen müssen. Dabei erinnere ich mich an ein interaktives Rollenspiel, das ich in einem Seminar während meiner Reiseleiter Zeit gelernt habe. Das Resultat war verblüffend und zeigte, wie viel wir unbewusst aus unserem eigenen Gedankengut und unserer Gesellschaft in andere hinein interpretieren. Mit diesem Bewusstsein betrachte ich die Dinge und bemühe mich um eine möglichst wertungsfreie Sicht.

Tatsache ist, dass hier enorm viel Wert auf Ansehen und damit den Schein nach aussen gelegt wird. Als deutliches Beispiel mag eine Hochzeit gelten, die sehr oft grösser ausfällt, als das Budget es zuliesse. Wie sonst liesse sich erklären, dass nicht nur die Wohnungseinrichtung komplett sein muss, sondern auch die Schränke voll und gut assortiert sein müssen. Dass in den Vitrinen nie gebrauchte Gläser, Nippes und Kitsch ausgestellt werden. Dass am ersten Hochzeitsfest auf der geschmückten Strasse mit Nachbarn und Freunden gefeiert wird, die alle verköstigt werden. Und dass am zweiten Hochzeitsfest ein grosses Lokal und Autos zur Anreise gemietet werden müssen, denn die Gäste, bei denen es sich hauptsächlich um Familie handelt, sind zahlreich. Die Familien sind gross und es kommen locker ein paar Hundert Gäste zusammen.

Dies alles kostet Geld und gerade in diesen Zeiten ist dies enorm schwierig aufzubringen. Meistens leiht man es sich bei Verwandten und Freunden aus. Wie es sich mit der Rückzahlung verhält, ist mir nicht bekannt. Die Art und Weise, wie mit Geld umgegangen wird, ist für mich ziemlich undurchsichtig und ich frage mich, ob und wie die Leute überhaupt noch wissen, wem sie wie viel schulden. Aber egal, wie sehr man sich verschuldet, man muss zeigen, dass man sich die leisten kann. Auch wenn es absolut nicht der Wahrheit entspricht.

Gewiss, man schnallt den Gürtel so eng wie möglich, was z.B. ersichtlich wird an den mehr als bescheidenen Mahlzeiten, die es tagtäglich gibt. Man mag zuerst beeindruckt sein von dieser Bescheidenheit und der stoischen Ruhe, mit der die Situation hingenommen wird. Tatsache ist jedoch, dass sich alles um Geld dreht. Dass jeder versucht, irgendwie einen Vorteil für sich herauszuschinden.

Youssef hatte es ganz deutlich und lachend erklärt: er mache mit allen „Business“, was heisst, dass er immer und überall versucht, ein oder zwei Pfund für sich raus zu holen. Egal, ob es sich dabei um seine Brüder, seine Eltern oder sonst wen handelt. Mit diesem Wissen gebe ich ihm lieber ein Trinkgeld für seine Botengänge und erwarte dafür reelle Preise. Das klappt in der Regel auch, zumal ich mittlerweile die Preise kenne. Dies ist allerdings nur ein sehr kleines Beispiel, das irgendwie noch spielerisch anmutet. Es laufen generell gesehen jedoch auch Dinge in einer anderen Grössenordnung, die sehr fragwürdig sind.

Es gibt verschiedene Versuche, mich in ein Business einzubeziehen, als Investorin sozusagen, aber bisher habe ich mich nicht darauf eingelassen, weil die meisten schlichtweg unrealistisch sind. Auch innerhalb der Familie finden solche Versuche statt. Manchmal mit Erfolg und wenn es dann floppt und das Geld verloren ist, geht das grosse Geschrei los. Dann schlagen die Wellen sehr hoch und es ist für harmoniesüchtige Europäer beängstigend  was dann abgeht. Es geht dann extrem laut zu und der ganze Konflikt wird zwischendurch auf die Strasse getragen. Wobei auch immer mehr Personen involviert werden.

Hier ist dann auch der Widerspruch. Einerseits will man um jeden Preis den Eindruck einer wohlhabenden, intakten Familie vermitteln, andererseits lebt man hier öffentlich und zumindest die Nachbarn, die nicht unbedingt alle diskret sind, kriegen alles mit, was in einer Familie abläuft. Darauf angesprochen war S. ziemlich erstaunt, denn unter diesem Gesichtspunkt hatte er das hiesige Leben offensichtlich noch nie betrachtet.

Wichtig ist, sich nur mit den richtigen Leuten abzugeben. Es muss nur schon das Gerücht aufkommen,  dass jemand sich nicht gesellschaftskonform verhält, egal ob begründet oder nicht, um sich zu distanzieren. Man will unter allen Umständen vermeiden, dass man mit dieser Person in Verbindung gebracht wird und dadurch seine guten Ruf verliert, um den man so bemüht ist. Dass man gewisse Dinge ebenfalls macht, allerdings im Geheimen, spielt dabei keine Rolle. Es ist wichtig, den Schein zu wahren. Doppelmoral in Reinkultur.

Deshalb bin ich der Überzeugung, dass die Menschen hier genauso agieren wie in anderen Gesellschaften auch. Meist etwas versteckter, aber Mensch bleibt Mensch…mit all seinen Stärken und Schwächen, die hier allerdings anders gewertet werden als in einer westlichen Gesellschaft.

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Social Life

22.04.2012 23:22:53

Nachdem ich nun einige Male Julia getroffen hatte, wir gemeinsam bei Dean gegessen und alle drei zu JJ's nach Karnak gefahren waren, lud ich die beiden zu mir zum Essen ein. Auch aus dem Grund, weil Julia für einen Monat nach Kairo gehen, danach noch 2 Wochen in Luxor bleiben und dann nach England zurückkehren wird. So würden wir uns erst im September wiedersehen, weil ich Mitte Mai in die Schweiz fliege.

Natürlich lud ich auch S. zum Essen ein, er aber meinte, er wisse noch nicht, ob er rechtzeitig kommen könne, da er einige Besucher erwarte. Sherif plane zu heiraten und es gäbe noch einiges zu besprechen. Die Männer hatten sich auf die Dachterrasse zurückgezogen und ich staunte nicht schlecht, als ich Amr sah, den ich von Hurghada her kannte. Ich freute mich wirklich, ihn zu sehen. Leider fuhr er am nächsten Morgen zurück...malesh!

Nun, als Starter servierte ich eine Platte mit Roastbeef, das hier eher als leicht geräuchertes Rindfleisch daher kommt. Dazu Oliven und frische Gurken, sowie eine Art gerösteten Toast mit Tapenade. Tja, wenn man was in einem Supermarkt entdeckt, muss man zugreifen....

Da ich mit dem "wunderbaren" Herd und meinem Geschirr limitiert bin, gab es als Hauptgang mein Poulet provençal, ein sehr einfaches, aber aromatisches Gericht. Danach eine Käseplatte - man staune - mit Greyerzer, geräuchertem Käse, Blauschimmelkäse und einem cremigen Büffel Feta mit Olivenöl. Alles garniert mit Baumnüssen und Äpfeln. Dazu frisches Fladenbrot und Butter. Den Abschluss bildete ein ganz simples und leichtes Dessert aus Mango Joghurt mit extra Mango Stückchen, mit Gelatine verdickt, und mit Mango Streifen, etwas Saft und mit geriebener Schokolade garniert...et voilà. Ein eher ungewöhnliches Essen hier, aber mir macht es Spass, solches zu kreieren.
Um ehrlich zu sein - ich bin eine lausige Dessert Köchin.

Hauptsache, ich konnte meine Gäste überraschen. Es hat ihnen super geschmeckt und was übrig blieb, hat Youssef sich mitgenommen, was allerdings nicht mehr viel war. S. war doch noch rechtzeitig gekommen und vergass völlig die Männer auf dem Dach.

Wir sassen lange zusammen und verbesserten die Welt. Eigentlich wüssten wir wie, wie so viele andere auch - nur, auf uns hört ja keiner!

Der zweite Besuch bei JJ's verlief ohne Zwischenfall. Axel hatte sich für seinen Ausbruch beim letzten Mal entschuldigt. Das Lokal war sehr gut besucht, einige Touristen, einige Expats. Dazwischen Mutter und Tochter, die hier leben und die beide eine Beziehung mit dem geschniegelten Barmann haben, aber keine weiss offenbar von der anderen. So wurde mir jedenfalls erzählt.
Hier erfährt man immer etwas. Sei es Klatsch oder sei es von Gegebenheiten, die man hier als Gewerbetreibender berücksichtigen muss. Enfach ist es nicht, hier als Ausländer ein Business aufzuziehen. Zurzeit leiden nicht nur die Ägypter unter dem Ausbleiben der Touristen, sondern auch jene Ausländer, die ein Restaurant oder ähnliches betreiben. Überleben kann derzeit nur jemand, der über Reserven verfügt.

Es gab wieder eine Music Session mit den gleichen Leuten, ein paar andere Songs, aber immer noch der gleiche Soundbrei. Ich glaube nämlich nicht, dass es am Strom liegt. Egal, es war wieder 3 Uhr morgens, als Dean mich nach Hause begleitete. Ich hatte ihn darum gebeten, weil eine Frau um diese Zeit allein auf der Strasse sich nicht gerade gut macht.

Nun, ein Anfang ist gemacht! Mal sehen, was sich in diesem Punkt noch so alles ergibt...

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Ausgang

14.04.2012 14:34:35

S. rief mich an, um mir mitzuteilen, dass um 20h ein Tisch bei "Dean's" reserviert sei. Julia warte dort auf mich, um gemeinsam zu essen und anschliessend nach Karnak zu fahren. 

Ich hatte Julia letztes Jahr kennengelernt. Sie lebt zeitweise hier, sofern es ihre Berufstätigkeit in England erlaubt. Da ich jedoch keine Kontaktadresse von ihr hatte und auch nicht wusste, dass sie in Luxor war, hatte S. den Kontakt hergestellt. Er weiss immer, wer wann in Luxor ist.

Wo ich "Dean's" finden würde, war mir bekannt. Ich war schon öfter daran vorbei gegangen auf dem Weg zur Bank oder zum Hotel Steigenberger. Ein kleines, sauberes und hübsches Lokal, das in die Sparte Bistro gehört. Dean ist Engländer, um 50 herum (schätze ich mal) und lebt seit 14 Jahren in Luxor. Julia kennt ihn schon lange, da sie, wenn auch nur temporär, seit 7 Jahren hier lebt und ist mit ihm befreundet.

Die Karte ist klein, was mir gefällt, und meine Wahl fiel auf Empfehlung von Dean hin auf Thai Prawns. Mal sehen, was geboten würde, denn seit meiner Restaurant Profizeit bin ich äusserst kritisch. Ok, wir sind hier in Ägypten, was aber nicht heisst, dass man auf Qualität verzichten muss. Die eigenen Ansprüche hingegen muss man anpassen.

Julia versorgte mich mit Informationen über die Expat Szene in Luxor. Sie tat dies auf sachliche Weise, was mir sehr sympathisch war, denn Tratsch mag ich nicht. Sie erzählte auch von sich und wir fanden einige Gemeinsamkeiten. Sie kennt zwar viele Leute hier, lässt sich aber nicht auf den Groove der Englischen Gemeinschaft hier ein. Laut Julia herrschen da Neid, Missgunst und Eifersucht und besonders die Frauen haben nichts Besseres zu tun als zu klatschen und zu tratschen. Deshalb hält sie sich da raus.
Dass nicht wenige Engländerinnen hier leben, um ihre Bedürfnisse mit Toyboys auszuleben, ist eine Sache, solange sie ehrlich mit sich selber und anderen umgehen. Es ist aber eine andere Sache, wenn an die grosse, ehrliche Liebe des Toyboys geglaubt wird.

Das Essen war frisch, schmackhaft und nett präsentiert. Ich hatte wählen können zwischen mild, mittel und scharf und Dean hatte mir mittel empfohlen, was sich zwar als würzig, aber nicht als scharf erwies.
Das frische Mischgemüse, das dazu serviert wurde, war knackig und schmeckte lecker und die Prawns hatten die richtige Konsistenz. Die Atmosphäre war ungezwungen, das Personal blieb diskret, aber aufmerksam im Hintergrund und Rauchen ist erlaubt, solange keine Kinder oder viele Gäste anwesend sind.

Dean war casual gekleidet in 7/8 Hosen und einem T-Shirt, er hätte auch als Tourist durchgehen können.
Da wir die letzten Gäste waren und er offenbar nicht mit weiteren rechnete, entliess er sein Personal und schloss sein Geschäft, um mit uns nach Karnak zu fahren. Unterwegs kamen wir auf Musik zu sprechen und was da aus ihm ausbrach war eine solche Begeisterung, dass mir klar war, die richtige Person getroffen zu haben.

JJ's liegt in einer Seitenstrasse, ist im Erdgeschoss eine kleine, aber gut sortierte Bar und im ersten Stock ein Restaurant. Besitzer sind Jules und Axel, beide Engländer. Sie ist ein schmächtige Person in den 40ern, die ganz begeistert, aber auch ganz traurig schauen kann.

Die meisten Gäste waren mittleren Alters, weil eher wenig junge Leute sich hier niederlassen. Ein paar Touristen, die regelmässig in Luxor Urlaub machen und einige englische Expats, die Frauen mit wohlfrisierten, steifen Haaren und etwas verbissen, die Männer hemdsärmelig und bereits etwas angeheitert. Dazwischen ein bulliger Typ mit Glatze und Tattoos, dessen Name ich nicht verstanden habe.

Hinter der Bar stand Axel und sein ägyptischer, etwas geschniegelter Mitarbeiter Romani. Axel selbst trug lange, dünne, graue Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Seinen Bart zierten am Kinn zwei Zöpfe mit Perlen und seine Oberarme zeigten grosse Tattoos.

Aus den Lautsprechern klang guter Sound und man hatte mir bereits gesagt, dass es hier jeweils donnerstags Live Music Sessions gab. Tatsächlich waren neben dem Eingang Keyboard, Kongas und das ganze Equipment aufgestellt. Jemand hatte Axel verraten, dass ich singe und er fragte mich, ob ich "Summertime" singe.
Klar, kein Problem, aber zuerst wollte ich hören, was und wie sie spielten.

Axel setzte sich ans Keyboard, der Glatzkopf packte seine Gitarre aus und einer der Hemdsärmeligen, aber Geschniegelten stellte sich an die Kongas, was sich als totale Fehlbesetzung erwies. Sie spielten "Summertime" und es hätte nicht schlecht getönt, wäre das Tempo nicht gar so langsam und das Gesangsmikrofon besser eingestellt gewesen. So war es eher ein akkustischer Brei. Egal, hier wurde Musik gemacht und das war schon mal was für mich.
Die anderen Songs kannte ich nicht und nach drei Stücken packte der Glatzkopf, der eine erstaunlich sanfte Stimme besass, seine Gitarre ein. Das war's gewesen an diesem Abend.

Als Axel wieder hinter dem Tresen stand, bemerkte ich, dass der Sound leider nicht optimal sei und man besonders den Sänger nicht verstünde. Er meinte, sie hätten schon alles möglich ausprobiert, es liege am Strom. Nun, ich wollte nicht näher darauf eingehen, da er ja besser Bescheid wissen musste hier. Mit ihm und Dean fachsimpelte ich eine ganze Weile über Musik und das war genau was ich brauchte!
Andere Gesichter, andere Themen...

Dann wieder plauderte ich mit Julia oder hörte ihrem Geplänkel mit Dean zu. Die beiden waren mir sympathisch. Nach und nach verliessen die Gäste das Lokal und schliesslich waren nur noch Julia, Dean, ich, Axel und Jules anwesend. Mittlerweile war es fast 2h und jeder hatte schon etliches getrunken. Ausser Julia, die keinen Alkohol trank und ich, die sich an Rosé gehalten hatte. Die anderen hingegen, insbesondere die Besitzer, hatten dem Alkohol ziemlich zugesprochen.

Wohl deshalb eskalierte die Diskussion über Luxor, Ägypten, die Situation und die Schwierigkeiten. Axel redete sich immer mehr in Rage, während Dean alles realistischer und den Gegebenheiten angepasster sah. Axel fluchte und liess sich ziemlich vulgär und böse über die Leute in Luxor aus. Julia und ich widersprachen, Dean ebenfalls und Jules blieb still, mit Tränen in den Augen. Es war wohl nicht der erste Ausbruch. Axel, der früher offenbar ein Mitglied der Hell's Angels gewesen war und in unterschiedlichen Regionen dieser Erde ein Lokal geführt hatte, stürmte plötzlich in die obere Etage und war nicht mehr gesehen.

Jules heulte nun ganz offensichtlich und wir versuchten, sie zu trösten. Was nicht viel half, da sie nun völlg aufgelöst war. Es war unschwer zu erkennen, dass beide ein Alkoholproblem haben. Schade, so werden sie wohl sich und auch ihr Lokal ruinieren...früher oder später...

Mit dem Taxi fuhren wir nach Luxor zurück, setzten zuerst Julia ab und stiegen beide unweit der Seena Street aus. Dean wollte noch in "seinen" Coffee Shop um eine Shisha zu rauchen, offenbar wohnt er nicht weit entfernt. Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander und ich ging die paar Schritte nach Hause.

Alles in allem war ich zufrieden mit dem Abend und den Begegnungen und ich werde mit Sicherheit ab und zu bei Dean essen oder mal reinschauen. Nun aber fiel ich wie ein Stein ins Bett.
3 Gläser Wein den ganzen Abend lang hatten mich derart geschafft (ohne mich etwa angeheitert zu fühlen), dass ich sehr lange schlief und den folgenden Tag keinerlei Energie besass...

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