Wer Chaos sät, wird Macht ernten 22.06.2012 12:59:49 |
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Klinisch tot, im Koma oder auf dem Weg zur Besserung? Die Gerüchte um den Zustand von Ex-Präsident Hosni Mubarak scheinen angesichts der aktuellen Ereignisse in Ägypten wenig mehr als eine Randnotiz. Doch einige glauben in der Episode ein Muster zu erkennen, das fast alles erklärt, was am Nil zurzeit schiefgeht: Je grösser die Verunsicherung in der Bevölkerung, desto besser für die herrschenden Generäle. Die haben nach 60 Jahren an der Macht keine Lust, die Zügel aus der Hand zu geben. Was liegt näher als der Verdacht, dass sie das Chaos aktiv fördern? «Das Militär hat einen sanften Putsch veranstaltet, und wir sind darauf reingefallen», sagt die 21-jährige Nadine Adham auf dem Tahrir-Platz. «Jetzt müssen wir kämpfen, um unsere Revolution zurückzugewinnen.» Viele hier denken wie die Pharmaziestudentin und sehen an jeder Ecke Indizien für ihren Verdacht: Zwei Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt löste das Verfassungsgericht das Parlament auf, obwohl der Fall seit Monaten hängig war. Dadurch verlor auch die eben gebildete verfassungsgebende Versammlung ihre Legitimität. Selbst die Frage, ob Ahmed Schafik als Vertreter des alten Regimes überhaupt zur Wahl antreten darf, liessen die obersten Richter bis zuletzt offen. Wozu einen Präsidenten wählen, dessen Macht weder ein Parlament noch eine definitive Verfassung begrenzt, fragten sich viele. Trotzdem ging die Stichwahl am Wochenende über die Bühne. Zeit arbeitet für die Militärs Bereits droht neues Ungemach: Die Militärs haben versprochen, die Macht an den gewählten Präsidenten abzugeben, sobald dieser feststeht. Das offizielle Ergebnis war für den Donnerstag angekündigt, doch just an jenem Tag teilte die Wahlbehörde mit, dass es wegen Einsprachen zu Verzögerungen kommt. Neuer Termin: So bald wie möglich. Dessen ungeachtet haben sich sowohl Schafik als auch Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern bereits zum Sieger erklärt. Je länger sich die Bekanntgabe des Gewinners verzögert und je gewalttätiger der Unmut des Verlierers, desto fester sitzen die Generäle im Sattel. Selbst unpolitische Ägypter trauen der einst hoch angesehenen Armee nicht mehr über den Weg: «Ich komme her, um meine Kinder zu ernähren», sagt der Teeverkäufer Ali Kassem auf dem Tahrir-Platz und fügt an, dass er meistens gar nicht wisse, gegen wen oder was die Menschen demonstrieren. Dennoch: «Die Armee sollte sich auf ihren Job konzentrieren und die Grenze bewachen. Nicht mehr und nicht weniger.» Er verstehe die Wut der Menschen. Unrecht und Gewalt seien unter den Militärs an der Tagesordnung. Angst und Apathie Abseits des revolutionären Zentrums am Tahrir-Platz gibt es auch andere Stimmen. Im Nobelviertel Zamalek auf der gleichnamigen Nil Insel überwiegt das Misstrauen gegenüber den Islamisten: «Die Militärs haben Angst, Mursi werde das Land in den Abgrund stürzen. Er hat ja gedroht, Israel anzugreifen und Strände und Bars zu schliessen. Sie wollen einfach das Land retten», sagt der 26-jährige Politologie-Absolvent Karim Nashaat. Adam Mohasseb, 47, geht noch einen Schritt weiter: «Ich wünschte, die Revolution wäre nie passiert», sagt der Anwalt und Familienvater. «Sie hat nichts Gutes hervorgebracht. Das Leben war vorher einfacher.» Andere haben resigniert: «Es ist alles so kompliziert, ich weiss nicht mehr, was ich glauben soll», gesteht Scherif Nasser, 37. Zwischen Armee und Muslimbrüdern tobe ein Machtkampf und das Volk sei mittendrin. Der Verdacht, dass die Generäle trotz gegenteiliger Behauptungen nie ernsthaft vorhatten, die Macht an einen Zivilisten abzutreten, ist nicht neu. Die Gesetzlosigkeit im Sinai, die Tragödie im Fussballstadion von Port Said und das Massaker an koptischen Demonstranten: Seit der Oberste Militärrat nach dem Rücktritt Mubaraks im Februar 2011 das Sagen hat, schlittert das Land von einer Katastrophe in die nächste. Quelle: 20min, Ragia Mostafa, Kairo |
Ägyptens Übergangszeit wird nie enden 05.05.2012 02:31:57 |
In 3 Wochen wird ein neuer Präsident gewählt. Aus der Flut der Berichte staatlicher und freier Quellen habe ich einen Kommentar ausgewählt, der mir realistisch scheint. Für jene, die sich für die Einschätzung der Lage aus ägyptischer Sicht interessieren. Man verzeihe mir gewisse Übersetzungsfehler...ich bin in der politischen Terminologie in Englisch nicht sehr bewandert...
Die politische Arena in Ägypten durchläuft momentan eine Phase mehrere widersprüchlicher Konflikte über eine Anzahl Pläne zwischen diversen Kräften. Der wahrscheinlich wichtigste ist die Gründung der verfassungsgebenden Versammlung, die für die Ausarbeitung der neuen Verfassung des Landes verantwortlich sein wird. Sowie der harte Wettkampf um die angekündigte Präsidentschaftswahl im Mai, welche die Endphase der Machtübergabe in Ägypten offiziell markieren soll. Im Hinblick auf die Wahl der Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung ist die Muslim Brotherhood der Eckstein, welcher die ganze Sache beenden oder Dinge ins Rollen bringen kann. Die Salafisten sind nachsichtiger als die Brotherhood und eher bereit, einen Konsens mit den nicht-islamischen Parteien zu finden, um die Mitglieder für diese Versammlung zu wählen, weil die Salafisten momentan in keine Machtkämpfe verwickelt sind. Zudem haben die Salafisten keinen Präsidentschaftskandidaten mehr im Rennen und ihr Ziel scheint zu sein, die Herrschaft über staatliche Institutionen durch die Brotherhood zu verhindern. Es besteht die Befürchtung, dass eine solche Übernahme durch die Brotherhood ein iranisches Szenario bewirken könnte, wo ein oberster Führer den Staat kontrolliert. Wie auch immer, die Salafisten sind eifrig dabei zu versichern, dass die islamische Bewegung als Ganzes die Präsidentschaftswahl nicht verloren sieht und daher das frühere Mitglied von Brotherhood, Abdel Moneim Abou el Fotouh unterstützen und nicht den offiziellen Kandidaten Mohamed Morsy und seine Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. Gleichzeitig wollen die Salafisten das Parlament nicht aufgelöst sehen, um nicht ihren Anteil im politischen System (die Salafisten gewannen 25% der Sitze in den letzten Parlamentswahlen) zu verlieren. Deshalb begrüssen die Salafisten jede Aktion, welche die Lage beruhigt und den Konflikt in der verfassungsgebenden Versammlung löst, um zu vermeiden, dass der Prozess der Machtübergabe zum Erliegen kommt. Die nicht-islamischen Parteien haben ebenfalls keinen idealen Präsidentschaftskandidaten vorzuweisen. Der Unterschied zwischen den nicht-islamischen Parteien und den Salafisten besteht darin, dass erstere keinen nennenswerten oder sicheren Anteil am aktuellen politischen System haben. Darum ist es für die Nicht-Islamischen ein existentielles Ziel, angesichts der Dominanz der Brotherhood in der verfassungsgebenden Versammlung einen befriedigenden Anteil zu sichern und deshalb auch ihre Beharrlichkeit gegen einen Ausschluss. Auf der anderen Seite spielt die Brotherhood dieses Thema, das die verfassungsgebende Versammlung beschäftigt, als ein Katz und Maus Spiel. Zuerst zeigte die Brotherhood Interesse bezüglich der Kriterien, die eine adäquate Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung garantieren sollten, um damit Flexibilität und den Wunsch nach Verständigung und Einigung zu signalisieren. Nur um dann eine völlige Kehrtwendung zu machen und eben diese Kriterien im Gesetzgebungsausschuss abzulehnen. Dieses Spiel dient dazu, einen gewissen Druck auf den Militärrat auszuüben, um grössere politische Macht zu erlangen. Z.B. ungewisse Verfahren zu umgehen oder um sich Positionen in der Exekutive zu sichern. Wie auch immer, dies sind zweitrangige Schlachten für die Brotherhood, da sie genau wissen, dass die Verfassung geschrieben wird, wenn der neue Präsident an der Macht ist. Ihr grosses Ziel ist deshalb, die Wahl des Präsidenten zu gewinnen. Dies ist erstaunlich, weil jeder mit etwas Scharfsinn sehen kann, dass Morsy’s Chancen gering sind, besonders seit die Salafisten jegliche Anfrage um Wahlunterstützung abgelehnt haben. Selbst in der unwahrscheinlichen Situation, dass Morsy gewinnen könnte, wäre die Brotherhood unfähig, die Erwartungen des Volkes zu erfüllen und hofft auf einen Wechsel in dieser kritischen Periode. Und daher wird sie verlieren, egal ob sie die Präsidentschaftswahl gewinnt oder nicht. Auf jeden Fall wird der nächste Präsident in einer Lage mit sehr vielen Unklarheiten wegen der fehlenden Verfassung sein Amt antreten, falls die Wahlen überhaupt stattfinden oder der Oberste Rat der Streitkräfte diese vermasseln sollten. Die aktuelle verfassungsmässige Vereinbarung erklärt nicht die Bedingungen der Beziehungen zwischen dem Präsidenten und dem Parlament und aus diesem Grund könnte speziell die SCAF jederzeit eine neue verfassungsmässige Vereinbarung herausgeben. Noch wichtiger ist, dass der Präsident nicht in der Lage sein wird, irgendwelche Änderungen in der exekutiven Politik durchzusetzen, weil ihm die politischen und organisatorischen Kräfte fehlen, um das bürokratische Netzwerk des jetzigen Regimes zu demontieren. Deshalb wird er nicht die Macht haben, um verantwortliche Personen innerhalb der regierenden und administrativen Ämter zu ernennen, auszuschliessen oder zu halten – die nötige Macht, um Verfahren durchzubringen und um Regierungs- und Gemeinde Ressourcen zu verteilen. Kurz, nichts wird sich ändern. Die einzige Gruppierung, mit organisatorischer Macht um das politische Regierungssystem anzugehen, ist die Brotherhood. Diese jedoch wird aus zwei Gründen nicht in Frage kommen: Erstens, weil Morsy’s Chancen, die Wahl zu gewinnen, sehr gering ist und er deshalb keine exekutive Macht haben wird. Zweitens, weil sie sich weigern würde, das politische System umzukrempeln, was sich mit der konservativen Art ihrer sozialen, organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammensetzung erklärt. Schliesslich sind da noch die Brutstätten sozialer Unruhen, die ausser Kontrolle geraten könnten. Möglicherweise in Form von zornigen Demonstrationen von Supportern Hazem Salah Abu Ismails – dem einzigen neuen Mann auf der Politbühne der letzten Monate, und die fortgesetzten Aktionen der Arbeiter- und anderer Protestbewegungen. So betrachtet wird die Übergangsphase nie beendet werden – es wird keine wirkliche Machtübergabe stattfinden und keine der gewählten Parteien wird reale, exekutive Autorität besitzen. Egal, ob die Präsidentschaftswahlen abgehalten werden oder nicht, egal wie der Ausgang sein wird. Des weiteren wird das Militär die ausführende Herrschaft nicht auf direkte und umfassende Weise im Stile Nassers übernehmen, weil es sich eine solche Aktion nicht leisten kann. Andererseits wird das Militär keine wirkliche Übergabe der Macht erlauben, weil dies seine eigenen Interessen stören würde. Das Ziel ist die Erhaltung der exekutiven Macht im derzeitigen politischen Vakuum ohne wirkliche Autorität – als das schwarze Loch, das es ist. Eine Situation, die Ägypten nicht länger akzeptieren kann angesichts der drohenden sozialen und wirtschaftlichen Krisen. Früher oder später wird der Kollaps des ägyptischen Staates stattfinden und er wird weder wiederbelebt noch zeitweise beruhigt werden können. Geschweige denn, dass Ägypten keine weiteren, sich im Kreis drehenden Debatten mehr tolerieren wird, anstelle von dringend nötigen wirtschaftlichen und politischen Änderungen.
Ashraf El-Sherif unterrichtet Politische Wissenschaften an der Amerikanischen Universität in Kairo. Quelle: Egypt Independent (eigene Übersetzung)
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Macht 31.03.2012 13:20:20 |
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Der ägyptische Friedensnobelpreisträger und ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed El Baradei, hat die militärische Übergangsregierung seines Landes scharf kritisiert. «Das Militär geht immer noch oft genug rücksichtslos vor, es herrscht Willkür», sagte El Baradei der Zeitung «Welt am Sonntag». Das Vertrauen der Bevölkerung in die Generäle sei zerstört.«Sie haben durch ihr miserables politisches Management im Lauf des vergangenen Jahres sehr viel an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Kein Mensch glaubt ihnen mehr.» Auf die Frage, ob ein Militärputsch drohe, antwortete El Baradei: «Das Risiko gibt es immer. Ich glaube aber nicht, dass die Militärs das wagen würden. Sie wissen ganz genau, dass dann die 20 Millionen, die auf die Strasse gingen, wieder aufstehen werden.» Die Armeeführung müsse ihre Machtpositionen in Staat und Wirtschaft aufgeben, forderte El Baradei. «Die Armee muss lernen, dass sie eine Armee in einem demokratischen Staat ist», sagte der Friedensnobelpreisträger. Von Mai an wird in Ägypten ein neuer Präsident gewählt, Ende Juni soll das Ergebnis feststehen. Danach - so ist es vorgesehen - gibt der Militärrat die Regierungsverantwortung wieder ab. El Baradei hatte sich selbst als Bewerber für die Präsidentschaft ins Spiel gebracht, aber im Januar aus Enttäuschung über die schleppende Demokratisierung des Landes erklärt, nun doch nicht anzutreten. Der «Welt am Sonntag» sagte El Baradei, er wolle künftig die Interessen der Demonstranten vom Tahrir-Platz vertreten und sich darum kümmern, «dass die Jugend zu einer politischen Formation findet, vielleicht auch eine Partei gründet. Mein Ziel ist es, dass sie bei der kommenden Parlamentswahl Aussicht auf Erfolg hat.» |